Montag, 8. November 2010

Die Entscheidung


Die verkürzte Woche beginnt...
am Dienstag regnerisch. Auf meinem Weg zur Arbeit hoffe ich wieder auf Aqua Alta, aber nix da. Auf Arbeit geht’s ruhig zu, es wird viel gelacht.
Evelyn mit einer Kollegin beim Bestaunen von Entwurfszeichnungen
Angela, Claudia, Evelyn

Meine Meisterin Marina mit einem Praktikanten
Ali und Stiven in üblicher Pose
Von unserer deutschen Organisation bekommen wir per mail den Auftrag uns um die Walzwoche zu kümmern. In dieser Woche sollen wir selbstbestimmt Italien erkunden und uns berufsrelevante Dinge anschauen. So recht weiß ich noch nicht was ich machen soll. Auf jeden Fall will ich mir ansehen wie die Jeans von Diesel und Co. gemacht werden. Einige von denen werden nämlich noch immer in Italien gefertigt und kosten dementsprechend mehr. Aber ansonsten… hm, ich beginne mir wieder meine Gedanken zu machen.
Hineingeboren in eine Welt in der Konsum nur um seiner selbst Willen passiert, stehen wir planlos am Rand und fragen uns, was wir noch Sinnloses schaffen sollen, damit keiner glücklicher wird als vorher. Eine gewisse Tristesse begleitet mich seitdem ich auf diesem Planeten verweile, auf dem es alles zu geben scheint, außer einem Grund warum wir hier sind und dem Plan wie unsere Existenz funktionieren kann. Vielleicht ist es das, woran sich unsere Generation setzen sollte. Die Antwort darauf zu finden und die Einsicht und damit Rückkehr zum Eigentlichen, dass es auch ohne einem Klingeltonabo, der shock resistance Armbanduhr, fettreduzierten Dinkelcrackern, I-Phone, Spülmaschinenduftsteinen und Promi News Flashs geht. Die Erde ist so schön, warum bekommen wir davon nicht genug? Und so mache ich mich jeden Tag wieder auf die Gradwanderung zwischen der Leidenschaft für meinen Job und der Schuldfrage. Schuld nichts getan zu haben, nichts gewusst zu haben und Schuld es nicht aufgehalten zu haben. Denn das Eine ist sicher, so geht das nicht. Das Leben was wir führen, funktioniert so nicht. Plastiktüte, Einwegrasierer und Autoreifen – was passiert danach damit? Wo soll es hin, wenn man es nicht mehr benutzen kann? Keiner weißes, keiner fragt. Die, die es wissen sollten, machen trotzdem weiter, weil wir danach fragen. Eine seltsame Welt ist das. Und so treffe ich am Dienstagnachmittag bei meiner üblichen Zigarette im Miniwintergarten eine Entscheidung, die ich nun schon eine gefühlte Ewigkeit vor mir hergeschoben habe. Ich höre auf. Ich habe alles erreicht was ich schaffen wollte. Habe für Hugo Boss gearbeitet, war in New York City, habe in Berlin für eines der bekanntesten Modelabels gearbeitet, das sogar als Head Of, war auf der Fashion Week, habe meine Kleider auf www.Vogue.com gesehen. Dinge, die mich mit Stolz erfüllen, aber dieser wird von Tag zu Tag mehr getrübt. Zu viele Dinge um mich herum passieren, vor denen ich nicht mehr meine Augen verschließen kann. Ich will da nicht mehr mitspielen. Das Alles geht nicht mehr mit dem Weltbild einher, was sich im letzten Jahr so klar herauskristallisiert hat. Das soll nicht heißen, dass ich der Mode den Rücken kehre. Ich werde lediglich auf der anderen Seite weiterkämpfen. Gegen Billiglöhne, schlechte Qualität, Kinderarbeit, Verletzung der Menschenrechtskonventionen und alle Dinge, die von Belang sind in der Textilfertigung, vor allem in den dritte Weltländern. Der „Wir müssen doch was tun“ Gedanke bohrt jeden Tag in meinem Kopf, und so werde ich mich zurück in Berlin auf die Suche nach einer solchen Organisation machen. Nach Leuten, die sich kümmern und kämpfen. Mode möchte ich trotzdem weiterhin machen, für mich und alle die daran Spaß haben.
Am Donnerstag habe ich das einer Verantwortlichen bei Coges erzählt, weswegen ich mich am kommenden Dienstag mit ihr treffe um im Internet nach passenden Stellen in Italien zu suchen. Nach dem Treffen bei Coges am Donnerstag bin ich zurück nach Venedig gefahren, weil eine der deutschen Praktikantinnen Geburtstag gefeiert hat. Claudia hat Evelyn und mich eingeladen in ihr neues Zu Hause in der Nähe von Campo Santa Margherita. Dort wollen wir essen kochen und anstoßen. Endlich sehe ich mal ein venezianisches Haus von Innen. Die Beiden waren schon einkaufen, sodass wir gemütlich anfangen zu kochen. Die Wohnung liegt im Erdgeschoss eines Hauses an einem Kanal. Alle Fenster zeigen auf eine angrenzende Häuserwand. In ihrem Zimmer steht ein Doppelbett mit einem Schrank. Eine Tür führt in ein kleines Badezimmer. Die Wohnung wurde erst modernisiert, aber man sieht schon an den Wänden die Spuren des Wassers. Hier und da bröckelt der Putz. Mit ihr wohnen noch 2 andere Studenten hier. Evelyn, die Kochmeisterin zaubert mit uns einen Pilzeintopf mit Germknödeln und danach eine Sachertorte. Dazu gibt es Spritz und Prosecco.






Zum Rauchen steigen wir aus der verglasten Tür zum Innenhof über die Hochwasserbremse, eine ca. 50 cm hohe Metallplatte, die vor den Türen befestigt wird. Völlig vollgefressen laufe ich zum Bus um nach Hause zu fahren. Ich esse hier eindeutig zu viel. Ich hab bestimmt schon zwei Kilo mehr drauf. Verdammt!
Am Freitag spreche ich meine Meisterin auf mein Projekt an. Am Donnerstag hatte ich Stefano persönlich gefragt ob ich mal ein Korsett selber machen könne, als Praktikantenprojekt. Große Begeisterung schlug mir nicht gerade entgegen. „Wir werden sehen“ bekomme ich als Antwort. Mit Marina hat er bereist darüber gesprochen und die vertröstet mich nun auf Montag. Dann werden wir mal darüber reden meint sie. Nun gut. Mit Mohammad überlege ich was wir heute Abend essen. Er will nämlich mit mir kochen. Er kampiert gerade wieder bei einem Freund, da sein letzter Mitbewohner ihn rausgeschmissen hat. Der stritt sich mit seiner Freundin und hat in seiner Rage plötzlich grundlos den Schlüssel von Mohammad eingefordert und nun steht er da. Nach Feierabend gehen wir in einen winzigen Supermarkt mit Gängen so eng wie in einer Bibliothek. Hünchen mit Reis und Spinat, soll’s geben. Eines meiner Lieblingsgerichte aus NYC. Die Wohnung liegt in der Nähe der Rialto Brücke in der zweiten und obersten Etage. Hinter der eisernen Eingangstür verbirgt sich ein liebevoll gepflegter Innenhof mit einer Treppe nach oben. Auch diese Wohnung ist sehr modern. Ganz anders als ich mir typisch venezianische Häuser vorgestellt habe. Die Wohnungstür führt direkt in einen Wohnbereich mit Küchenzeile. Dann geht es durch einen schmalen Flur in zwei kleine Zimmer und ein Bad.

Sein argentinischer Mitbewohner ist auch noch da, der mit uns isst, auch wenn er meint, es sei eine komische Zeit zum Essen. In Italien beginnt man nicht vor um acht. Heute ist ein beschissener Tag für italienisch. Ich verstehe mal wieder nichts und bekomme keinen ganzen Satz heraus. Komisch, manchmal ist es einfach so, da bin ich total blockiert. Mohammad kennt das und nimmt’s gelassen. Nach dem Essen machen wir uns gemeinsam auf den Weg zur Accademia. Dort trifft er einen alten Freund und ich laufe weiter zum Campo Santa Margherita. Ha, hier stehen Italiener, die Bier aus Flaschen trinken. Muss ich mir also doch nicht so komisch vorkommen. Hier warte ich auf Tabea und Katharina, eine italienische Praktikantin aus unserem Atelier. Sie hat gefragt ob ich mit ihr was trinken gehen wollte. Als sie kommt haben Tabea und ich schon den ersten Spritz hinter uns. Um uns herum stehen junge Leute, auch aus allen Herrenländern und reden, lachen und trinken. Oft in großen Gruppen, so wie es üblich ist in Italien. Mit tanzen haben die’s nicht so. Die unterhalten sich lieber, wie wir schon oft festgestellt haben. Mit Katharina unterhalten wir uns nur holprig. Sie ist nicht so wirklich ausländerkompatibel. Kann nur schwer erklären was sie meint, oder andere Worte finden. Außerdem redet sie sehr leise. Nunja, Tabea und ich sind sowieso müde von Arbeit, sodass wir Katharina kurz vor Mitternacht zu ihrem letzten Zug zurück nach Padova begleiten und auch heim fahren.
Am Samstag schlafe ich wie immer aus und frühstücke in Ruhe mit den Mädels. Nachmittags habe ich einen Termin mit Tabea in der Küche. Ich bin heute Friseurin. Seitdem ich mit Madlen einen Beauty Tag eingelegt habe, inklusive Haare, Make-up und Fingernägeln, wurde ich zur Hausstylistin ernannt. Nachdem wir den Friseursalon wieder geschlossen haben, mache auch mich so langsam zurecht. Tabea trifft sich mit deutschen Freundinnen, die hier zur Architekturbiennale sind. Zusammen holen wir uns einen Spritz und machen uns weiter auf den Weg zur Rialto Brücke wo Ali, Mohammad und deren Freunde schon warten. Christiane, eine der deutschen bewundert mich total wie sicher und zielstrebig ich schon durch die Gassen laufe. Naja, irgendwann hat man’s im Gefühl. Die Stadt ist voller Leben und in der Bar, vor der die Jungs stehen herrscht ausgelassene Stimmung. Sie erinnert mich ein wenig an Kreuzberg. Es ist nur ein kleiner Raum mit vollgekritzelten Wänden, schummerigem Licht und einer kleinen Theke. Bei den Jungs stehen noch andere Mädchen und so kommt jeder mit jedem ins Gespräch. Heute läufts super mit Italienisch, mit Ali stänkere ich die ganze Zeit herum. Dann überreden wir die Horde tanzen zu gehen. Auf dem Platz mit dem einzigen Burger King Venedig’s gibt es eine Tanzbar, die aber noch leer ist. Wir vertreiben uns die Zeit mit Spritz trinken und herumalbern. Plötzlich bekomme ich Appetit auf Eis. Ali will mir seine alte Arbeitsstelle zeigen, eine Gelateria in der Nähe des Markusplatz. Dort schaffe ich es endlich nach einer unendlichen Diskussion das Eis für beide zu bezahlen. Gestern habe ich schon wieder diskutieren müssen, wer den Einkauf im Supermarkt bezahlt. Da wurde mir versprochen, dass ich morgen bezahlen darf. Naja, das Eis wird mir zähneknirchend erlaubt, die Getränke danach nicht. Langsam füllt sich die Bar und wie immer beginnen die Deutschen zu tanzen. Der DJ spielt old school HIP HOP und 90er Jahre R&B. Es dauert nicht lange und unsere Jungs trauen sich auch zu tanzen. Das macht ihnen sichtlich Spaß. Bis um ca. 1.00 sind wir das Stammpublikum vor dem DJ Pult. Ab und an gehen wir auch raus zum Rauchen auf den Campo. Einmal unterhält sich mit einem äußerst gut aussehendem Italiener als ich dazu stoße. Er redet sehr schnell, ich kann einzelne Wörter verstehen aber nicht wirklich den Sinn. Er lächelt uns an beim reden aber schon bald wird uns klar, dass das nichts mit uns zu tun hat. Zu Tabea sagt er, dass ihr Tanzstil albern wäre und ich muss mich fragen lassen, warum mein Italienisch nach 5 Wochen noch immer so schlecht ist. Ali kommt uns zur Hilfe und würgt den gebürtigen Venezianer ab. Zu unserer Erleichterung erzählt er uns, dass das die typische venezianische Art wäre. Unfreundlich und beleidigend mit einem Lächeln dazu. Naja, kennt man ja so ähnlich von den Berliner Schnauzen. Wir sitzen noch eine Weile auf dem Campo und bringen dann eines der verbliebenen Mädels nach Hause. Die wohnt hinter dem Markusplatz ganz im Süden. Zwischendurch kaufen wir, Ali, Mohammad, Valery (ein peruanischer Freund), Tabea und ich, Pizza. Nachdem wir sie nach Hause gebracht haben, ziehen wir weiter von ganz unten nach ganz oben durch die nächtlichen Gassen von Venedig. Das Publikum ist wie überall, leicht angetrunken und auf dem Weg nach Hause. Wir albern die ganze Zeit herum, bleiben hier und da mal stehen. Hier ticken die Uhren merklich anders. Gegen 4.00 trudeln wir endlich am Piazzale le Roma ein und müssen uns die Augen aufhalten um die Haltestelle nicht zu verpassen. Zu Hause schlürfen wir noch Gemüsebrühe aus Kaffeetassen bevor es ins Bett geht.
Am nächsten Morgen weckt mich Madlen gegen 10.00 weil wir einen Termin zum Haareglätten haben. Sie macht sich heute auf die Reise für eine Woche – nämlich die Walzwoche. Nachdem ich ihr die stinkende Masse auf die Ansätze geschmiert habe, leg ich mich wieder hin. Nach dem Frühstück zur Mittagszeit setz ich mich wie immer an den Bericht, den die Verantwortlichen der verschiedenen Stellen haben wollen. Tag für Tag berichten wir darin, was passiert und was wir gelernt haben. Danach wird Blog geschrieben. Lustiger Weise sammeln wir uns seit neustem immer alle in der Küche. Ich sitze dort immer mit meinem PC, weil ich im Zimmer keinen Tisch habe. Tabea bäckt einen Kuchen für ihre Arbeitskollegen und Jenny leistet uns Gesellschaft. Wie ein afrikanisches Dorf, meine ich. Die zwei müssen lachen. Da machen wir erst einen heiden Aufstand, dass jeder sein eigenes Zimmer bekommt und schlussendlich hocken wir doch zusammen. Das wird komisch in Deutschland, wenn wir dann wieder allein sind und zum Beispiel nur für eine Person kochen brauchen. Zwischendurch ruft Ali an um mit mir über Silvester zu reden. Schon am gestrigen Abend haben uns die Beiden aufgeregt von ihrem Plan erzählt zu Silvester zu uns nach Berlin zu kommen. Mohammad hat am 01.01. Geburtstag. An diesem Abend fanden wir das noch cool, aber schon auf der frühmorgendlichen Busfahrt heim, kommen uns Zweifel. Berlin ist halt doch ganz anders als Venedig. Uns da führen wir auch ein ganz anderes Leben als hier. Wenn ich mir vorstelle die Beiden in einem Berliner Club, wo ne Party eben mal 2 Tage dauern kann. Halleluja! Aber auch irgendwie interessant. Durch Fremde hat man manchmal die Möglichkeit seine Stadt in einem ganz anderen Licht zu sehen. Mit Ali recherchiere ich zeitgleich im Internet Flugangebote, aber die Preise sind dann doch zu hoch. Naja, sie überlegen noch mal. Nach unserem Kuchenabendbrot und schwergewichtigen Lebenskrisenunterhaltungen gehen alle langsam ins Bett. Ich wie immer als letzte. Basta

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