Dienstag, 19. Oktober 2010

settimana due im Zeitraffer

Die zweite Arbeitswoche vergeht wie im Flug. Ich schaffe es sogar jeden Tag pünktlich auf Arbeit obwohl der Bus zwischen 5 bis 15 Minuten...
zu spät, oder sogar 5 Minuten zu früh kommt. Deshalb nehme ich schon extra den sichereren, eine Sache, die ich in Deutschland niemals auf die Reihe bekommen hätte. Mit Jenny steh ich also meistens gegen 7.00 auf und packe meine Sachen bevor es kurz nach acht losgeht zum Bus. Der fährt zum Glück gleich um die Ecke ab. Mittlerweile bin ich auch wieder ausgeschlafener. Nach der Behandlung mit dem Antimückenkörperspray lege ich mich Nacht für Nacht mit einem Schuh in der Hand bewaffnet ins Bett und lass das Licht noch ein wenig an. Wenn dann das Gesumme näher kommt warte ich den Zeitpunkt ab, wenn sich das Biest an die Wand setzt, zack und dann schlage ich zu. Meine Wand zieren nun viele schwarze Flecke. Auch aus den anderen Zimmern klatscht es ab und an bis spät in die Nacht.
Es ist kühler geworden. Ohne Mantel und Halstuch kann ich früh nicht mehr raus. Und so steh ich jeden Morgen eingepackt und festumklammert an einer Strebe im Bus und fahre meinem kleinen Abenteuer entgegen. Ich halte mich mit beiden Händen fest, denn ich hab immer noch nicht rausgefunden, wie die Italiener das einhändig machen. Die stehen da wie Felsen, wenn ich schon Jemandem auf dem Fuß gelandet bin. Wir haben nur vier Stationen bis zum Piazzale Le Roma in Venedig. Dabei geht es vorbei am Bahnhof von Mestre über die Schnellstraße in Richtung Küstenstreifen. Abends im Dunkeln sieht dieser besonders eindrucksvoll aus, da er über und über mit Scheinwerfern geflutet wird. Am gesamten Ufer von Mestre und darüber hinaus befindet sich bis tief ins Festland hinein Industrie. Der Großteil ist wohl Chemie. Jedenfalls hängt in unserem Haus ein vergilbter Zettel mit der Warnung und dem Verhalten bei einem Zwischenfall in den Kraftwerken. Zudem tönt noch jeden Morgen eine weitentfernte Sirene für jeweils ein paar Sekunden. Wofür sie genau gut ist, wissen wir nicht, dafür nervt uns keine Kirchengebimmel.
Wenn man über die Ponte della Libertà in den Sonnenaufgang fährt kann man sie über die Schulter des Busfahrers schon von Weitem sehen – Die Serinissima – die Allerdurchlauchteste – sinngemäß übersetzt. Es ist jeden Tag immer wieder erstaunlich wie dieses Monument menschlicher Schaffenskraft aus dem Wasser wächst. An der Oberfläche wimmelt es von kleinen Dächern zwischen denen Kräne herauswachsen. Es wird viel gebaut in Venedig. Am Hafen liegen dann meistens noch ein oder mehrere Kreuzfahrtschiffe, die im Vergleich zum kleinen Venedig aussehen wie Monster. Am Uferstreifen gleich neben der Ponte della Libertà legen früh morgens immer die kleinen Boote und Lastenkähne an. Sie werden dann von LKW’s beladen und bringen Waren ins Inselinnere oder genau andersherum. Früh Morgens ist viel los am Busbahnhof. Komischer Weise kommen mir viele junge Leute entgegen. Sie sehen aus wie Schüler oder Studenten. Einmal war auch eine Demo vor dem Bahnhof. Viele junge Leute mit Transparenten mit dem durchkreuzten Konterfei einer Frau, sammelten sich da. Auf Arbeit habe ich auf Italienisch erzählt, was ich gesehen habe und konnte sogar verstehen um was es geht. Es drehte sich wohl um die Ministerin für Bildung, die die Gelder für schulische Einrichtung kürzen will, bzw. es bereits getan hat.
Ich könnte zwar auch mit dem Boot zur Arbeit fahren, aber das kommt zeitlich nicht besser, zumal das Gedrängel früh nervig ist. Manchmal sind die Vaporettos so voll, dass man auf das nächste warten muss. So spaziere ich im schnellen Schritt über die hässliche neue Brücke am Busbahnhof, die alle hassen, vorbei an hunderten von Jahren an Geschichte. Der Canale Grande zu meiner rechten glitzert dabei immer in diesem speziellen cremigen blaugrün. So eine Farbe habe ich noch nie gesehen. Übrigens, stinken tut es nicht mehr. Auch ich habe mir vor 10 Jahren die Nase zu halten müssen, aber heutzutage ist alles sehr ordentlich. Jeden Morgen kommt die Müllabfuhr mit ihren Karren und gekehrt wird auch. Man traut sich kaum einen Kippenstummel auf die Straße zu werfen. In einem Museum würde man ja auch nicht, das Kaugummipapier auf den Boden fallen lassen.
Wenn ich kurz vor neun in Richtung Ghetto laufe muss ich bereits Slalom um scharenweise Touristen machen. Dann frage ich mich immer, wie Venedig wohl ohne sie aussehen würde. Wie viele Menschen leben hier eigentlich tatsächlich? Nunja, die Inder bauen gemütlich ihre Souvenir oder Obst und Gemüse Stände auf, die Asiatinnen schieben die Kleiderständer aus den „alles 15 Euro“ Geschäften und grüßen den Nachbarn, der gerade das Maskengeschäft aufschließt. Es gibt tausende davon. Wir haben schon einen neuen running gag innerhalb unserer Gruppe. Das was in Berlin noch: „Ich wohne da in der Sonnenallee zwischen 2 Dönerläden, kann man nicht verfehlen!“ war, ist nun: „Meine Arbeit ist da an einem Kanal, zwischen einem Maskenladen und einem Eisgeschäft.“ Orientieren tu ich mich an der Hauptstraße bis ich das „Teatro Italia“, ein ehemaliges Theater, sehe. Dann muss ich nämlich nach links in eine Gasse abbiegen. Dort kommen mir prinzipiell zwei winzige Nonnen entgegen, die ich wahrscheinlich deswegen nie verpasse, weil sie extrem langsam laufen. Besonders mit der Brücke am Ende der Gasse haben sie sich schwer. Übrigens gibt es tatsächlich einige wenige Kinderwagen hier, die mühevoll Stufe hoch und Stufe runter gezerrt werden. Für Rollstuhlfahrer gibt es an manchen Brückengeländern sogar elektrische Geräte mit einem Schienensystem, zum problemlosen Überqueren. Nach der Brücke geht’s nach rechts über eine weitere Brücke und ein paar Schritte weiter stehe ich schon am Atelier. Ich muss immer klingeln, da das Ladengeschäft nur auf Anfrage geöffnet wird. Durch den Verkaufsraum geht’s dann am Büro vorbei in Richtung Schneiderei und Lager. Man begrüßt sich mit einem breiten Ciao oder Buon Giorgno.
Die letzte Woche startete sehr gemütlich mit Schilder annähen und kleinen Näharbeiten. Ich saß meistens auf der unteren Etage, wo es um den letzten Schliff und ums Zusammensortieren geht. Alles wird dann exakt mit Foto katalogisiert, bevor es zum Versand geht. Kurz vor der Mittagspause mache ich eine fulminante Entdeckung. Beatrice, eine Praktikantin, und ich sollen einen Kleiderständer ganz hinter ins Lager schieben. Da hinten ist es gespenstig. Es ist zwar schon hell und durch die Metallkonstruktionen auch modern, aber man hat immer das Gefühl da ist jemand. Man könnte sich auch ziemlich gut verstecken, denn die pompösen Kostüme türmen sich regelmäßig bis in die hinterste Ecke. Neugierig schaue ich in die Winkel und Ecken und entdecke hinter ein paar Stoffrollen eine Tür. Ich kanns nicht lassen und schließe die fette Metalltüre auf. Und obwohl mir das gleiche Bild wie vorne vor der Tür entgegen kommt, ist es doch wie eine Tür zu einer anderen Welt. Denn nun stehe ich das erste Mal an einer Tür und auf der Stufe vor mir geht es hinab ins Wasser. Eine Tür ins Wasser, unglaublich… Die Sonne strahlt die Fassaden der Häuser auf der anderen Seite an, sodass es wie auf einer Postkarte aussieht. Toll, hier könnte ich stundenlang stehen, aber die Arbeit ruft. Ich traue mich sogar bei den anderen Praktikanten zu fragen, wie das Wochenende war und was man gestern gegessen hat. Hui, das ist jedes Mal eine riesige Überwindung, freiwillig den Mund aufzumachen. Aber lustig ist das. Dienstag hatte ich dann zeitweilig eine Durchhänger, weil ich irgendwie nichts verstanden habe. Immer und immer wieder musste fragen, was gemeint ist. Das demoralisiert, aber zum Glück reden die untereinander sehr viel, sodass man immer wieder Sachen aufschnappt und verinnerlicht. Man, ich brauch endlich einen Tandempartner. Jeden Abend beim ins Bett gehen, nehme ich mir aufs Neue vor einen Aushang zu machen und damit an die Mode- und Sprachschulen zu gehen. Aber irgendwie reicht die Zeit nicht. Wenn ich abends kurz vor sechs Uhr aus dem Atelier komme, schlendere ich meistens gemütlich und komme kurz vor sieben zu Hause an. Dann kocht immer gerade jemand, wir helfen mit und erzählen von unserem Tag. Ein bisschen italienisch ist das schon. Außer unsere Gesänge zum Einstimmen. Der Ruf zum Essen ist entweder eine eigens entwickelte Version vom Welthit „Volare“ (dazu später mehr) oder das Lied vom Bummibären. Darauf kamen wir als wir eines Abends nach dem merkwürdigen Konzert durch die nächtlichen Straßen Venedigs zogen. Dort kamen uns nämlich singende Italiener entgegen und wir stellten fest, dass wir kein „deutsches Lied“ singen können. Also die Hymne vielleicht, aber da hört’s auch schon auf, denn von den anderen Volksweisen kann man höchstens noch die erste Zeile. Außer das Bummibärenlied, das konnten wir alle.
Meistens sitzen wir dann noch eine Stunde und erzählen, irgendwer wäscht ab… wie eine kleine Familie.
Am Mittwoch sei wohl oben der Stress ausgebrochen, erzählt mir jedenfalls die Münchner Praktikantin. Es sollen 12 Damenhosen bis Freitag fertig sein, die bisher in Praktikantenarbeit entstanden sind. Nun drängelt die Zeit. Ich werde im Laufe des Nachmittags auch noch oben beordert. Bei den Hosen helfen, heißt der Auftrag. Nach kurzer Zeit kriege ich mit, dass nicht nur die Hosen fertig werden müssen sondern auch zwei barocke Kostüme mit Rüschen, Bändern und Schnickischnacki. Die Meisterin ist ziemlich angespannt. Alles arbeitet auf Hochtouren, außer einer. Stiven, der Modellmacher, mimt den Entspannten. Der hatte sich am Wochenende mein Textilwörterbuch ausgeliehen um dieses abzukopieren. Wie er schon etliche Male erzählt hat, will er nächstes Jahr nach dem Ende seines Vertrags hier, nach London gehen. Sein Englisch ist grottig, was ihn allerdings nicht davon abhält, ständig mit mir laut, durch den ganzen Saal zu reden. Die anderen haben schon Anspielungen mir gegenüber gemacht, dass Stiven ein ganz Spezieller sei. Auf Deutsch würde man glaube ich sagen: arrogantes, widerliches Arschloch. Das bekomme ich am Donnerstag eindrucksvoll bewiesen. Wie gesagt, die Zeit ist knapp, alle sind angespannt. Da kommt der Chef morgens hoch und unterhält sich mit Marina, der Meisterin. Die reagiert etwas ruppig woraufhin eine kurze Diskussion aufflammt, von der ich nur verstehe, dass sie keine Zeit hätte alles vom Urschleim an zu erklären. Achso, es geht also um uns Praktikanten. Wahrscheinlich speziell um die zwei neuen Portugiesen, die seit Montag eher etwas unbeteiligt daneben stehen. Sie sprechen kaum italienisch und wollten auch eigentlich ins Design. Nun sind sie etwas demotiviert NUR hier im Nähsaal gelandet zu sein. Marina macht hastig weiter und näht selbst. Da mischt sich Stiven mit ein. Ganze zwanzig Minuten dauert das Spektakel, schaukelt sich hoch und endet damit, dass Mohammed, der afghanische Auszubildende wutentbrannt der Raum verlässt. Laura, die kleinere ältere Kollegin hinter mir an der Maschine, ermahnt Stiven mehrere Male endlich seine Klappe zu halten, aber er stichelt und bohrt weiter. Die anderen diskutieren auch mit ihm, aber es hat keinen Zweck. Was er von sich gegeben hat, erfahre ich erst später grob von Katharina, der Praktikantin, die mit mir hier angefangen hat. Sie redet mittlerweile italienglisch mit mir und sagt, dass Stiven behauptet hätte, das nicht die Praktikanten Schuld am Zeitverzug wären, sondern auch die zwei afghanischen Auszubildenden. Die wären faul. Das lassen Ali und Mohammed natürlich nicht auf sich sitzen. Das Ganze endet dann damit, dass Stiven behauptet, die Beiden seien ja sowieso nur neidisch auf ihn und seine Karriere. Jetzt weiß ich, was Laura meinte, als sie sagte, es wäre besser so, dass ich kein Italienisch verstünde. Nunja, Mohammed sehe ich kurz darauf in der Mittagspause rauchend draußen vor der Tür. Er lacht als ich auf Italienisch sage, dass Stiven ein Spinner ist. Mit Caroline, einer weiteren neuen Praktikantin aus Berlin, bin ich auf den Weg in den Supermarkt. Der liegt direkt neben unserem Atelier am Ende einer Gasse, in der ich nicht einmal einen Arm voll ausstrecken kann. Finden kann man ihn nur, wenn man an der Ecke der Hauswand, das mit Edding aufgekritzelte „Prix – Supermercato“ zufällig liest. Das Ding ist ziemlich eng gestellt und hat die Größe von `nem durchschnittlichen Aldi. Zum Glück haben die keine Mittagspause, wie die meisten anderen Läden hier. Normalerweise passiert von 12.30 bis 16.00 nichts. Ob ich mich auf Dauer daran gewöhnen könnte, weiß ich nicht. Da geht ja bei ner acht Stundenschicht der ganze Tag flöten und was macht man solange in der Mittagspause? Besorgungen machen fällt folglich flach, wenn alles andere auch zu hat. Hm,…
Am Freitag ist die Stimmung auf Arbeit noch immer angespannt, da für Montag die Abgabe aller Teile ansteht. Wir machen sogar noch eine Stunde länger, sodass ich erst kurz vor sieben rauskomme. Madlen holt mich dann ab und wir gehen zum Bahnhof. Sie wird nämlich nach Mailand mitkommen. Oh man, ich bin schon total aufgeregt. Endlich, seit über einem Jahr, mein Lieblings-DJ-Team wirklich in echt zu sehen. Trifft sich zudem ganz gut, denn nach Mailand wollte ich sowieso wegen der Mode dort. Also kaufen wir am Ticketschalter Hin- und Rückfahrt. Alles auf Italienisch – hui. Für die Strecke von drei einhalb Stunden mit der Regionalbahn zahlen wir gerade mal 14 Euro. Mannomann – in Deutschland fällt dafür locker das Doppelte an. Dafür ist Autofahren hier umso teurer. Als wir zu Hause ankommen hat Jenny lecker Auflauf gemacht mit irgendeiner Wurst. Sie dachte es wäre Salsica, meine absolute Lieblingswurst. Und ja, als Thüringerin muss ich das erste Mal neidvoll anerkennen, dass doch es etwas Besseres als unsere Bratwurst gibt. Verdammt, diese Wurst ist der Oberkracher. Wie dem auch sei, wir schlagen uns die Bäuche voll und legen uns gegen 21.00 für ein Nickerchen hin. Naja,… Madlen und ich wachen am nächsten Morgen um acht auf um für Mailand zu packen.

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