Sonntag, 10. Oktober 2010

der Bus ins Nirgendwo

Es ist halb sechs als ich zufällig aufwache. Ich dreh mich um und will weiterschlafen aber da höre ich es wieder, dieses widerliche Surren. Mittlerweile...
schrecke ich schon zusammen wenn ich es nur höre. Diese Viecher geben einfach nie Ruhe. Fast vollständig mumifiziert versuche ich weiter zu schlafen, aber es ist nichts zu machen. Sie schwirren über mir und versuchen einen Weg zu finden. Ich fühle mich total ausgeliefert und hilflos. Der eine Mückenstich vom Samstag mitten in der Wade schillert immer noch blau und schmerzt beim langen Stehen. Entnervt stehe ich auf und gehe duschen. Heute muss auf jeden Fall was passieren, in der Sache der Mückenfrage. Auf Arbeit komme ich dieses Mal pünktlich an, obwohl der Bus wieder Verspätung hat. Zum Glück ist er dieses Mal nicht so voll. Eigentlich brauchen wir nur 15 Minuten zur Stazione in Venedig aber man steht so eng zusammen gedrängelt, dass es einem wie eine halbe Ewigkeit vorkommt. Außerdem sind italienische Busfahrer nicht zimperlich. Ich dachte immer die Berliner sind rabiat im Straßenverkehr… Auf Arbeit hat sich mein Name wohl mittlerweile rumgesprochen. Denn viele begrüßen mich mit „Ciao Maxi“ oder auch „ Maxe“. Diesen Namen haben sie noch nie gehört und das X macht ihnen sowieso Probleme. Das haben die Italiener nicht im Alphabet, genauso wenig wie das J, das K und das W. Die beschränken sich halt aufs Notwendigste. Komisch ist auch das viele Wörter von der Bedeutung her mehrfach besetzt sind. Zum Beispiel „tempo“. Kann Zeit, aber auch Wetter heißen. Oder „brutto“. Das heißt sowohl schlecht, als auch blöd, sowie hässlich oder eklig. Vielleicht reden die deshalb soviel. Weil die immer erklären müssen, was sie gerade meinen ;o).
Der nächste Auftrag von Stefano persönlich kommt prompt. Ich soll ein kleines Damenhösschen über und über mit Spitze besetzen. Spitze heißt auf Italienisch „Pizi“, hihi. Stefano kennt sogar das Deutsche Wort. Ich mach mich ans Werk und er nimmt die anderen Praktikantinnen mit in den Nähsaal um ihnen etwas zu erklären. Dafür setzt er sich sogar persönlich an die Nähmaschine und führt vor was er haben will. Obwohl mindestens 30 Personen hier arbeiten herrscht eine sehr entspannte und familiäre Atmosphäre. Mir gefällts von Tag zu Tag besser hier und versuche zu reden. Auch wenn es nur Kickifax ist. Die kleinen Sätze verstehe ich sogar schon, wie „Ich komme gleich wieder“ oder „Gesterh habe ich einen Film mit Brigitte Bardo gesehen“. Zur Mittagspause hole ich mir wieder meine Kugel Eis und sitze im T-Shirt am Kanal. Schön ist es hier. Italien ist wie eine sanfte Hand, die dir beruhigend übers Gesicht streichelt.
Kurz bevor ich noch vor Feierabend Schluss machen muss, weil das erste Meeting mit Co.Ge.S bevorsteht, bekomme ich noch mit wie Stiven auf Italienisch zu den Anderen sagt, dass ihm mein Outfit gefällt. Er denkt ich könne ihn nicht verstehen ;o). Mit dem Matrosenschirt und meinem Hut würde ich an Boy George erinnern. In der glühenden Nachmittagshitze mache ich mich auf den Weg nach Mestre in die Herberge, wo auch Co.Ge:s seinen Sitz hat. Dort treffen wir auf Antonio, der uns erst einmal fragt, wie es denn so läuft bei unseren Praktika. Ich kann mich nicht beklagen. Aber die Mediendesignerin sollte bis jetzt nur Flyer eintüten, oder Briefe abtippen und die andere redet auf Arbeit nur Englisch. Der Koch darf kaum Pausen machen, sich kein zu essen aus der Küche nehmen und sowieso nur Wasser trinken. Drei von uns sind noch komplett ohne Job. Von einer, die nun schon auf eigene Faust versucht etwas zu finden, weiß ich, dass die Lage vor allem bei den kleinen Geschäften und Handwerksbetrieben sehr schlecht aussieht. Viele müssen nach Generationen der Geschäftsexistenz dicht machen, weil es sich nicht mehr lohnt. Die Billigwaren aus China überschwemmen den Markt und machen des Einheimischen das Leben schwer. Ja, auch in Venedig gibt es Fidschi-/Türkenläden und 1€-Geschäfte. Traurig, wenn man das so sieht. Überhaupt ist es traurig mit anzusehen, wie die Touristen durch die Straßen ziehen und die Schönheit dieser Stadt scheinbar mit ihren Blicken aufsaugen und mit ihren Kameras wegfangen. Viele Deutsche und Amerikaner sind mir in den letzten Tagen über den Weg gelaufen. Von Marcus weiß ich, dass es immer weniger Venezier in der Stadt gibt. Mittlerweile würden viele Wohnungen reichen Amerikanern oder Russen gehören. Der Rest sind zu 80% alte Leute. Auf meinen Wegen frage ich mich immer wieder wie die Lagunenstadt ohne Touristen aussehen würde. Und überhaupt, wie es hier noch vor 400 Jahren ausgesehen hat. Für einen Menschen aus dem späten Mittelalter muss Venedig eine Fatamorgana gewesen sein. Wie ein Phantasieort, der vor Prunk, Protz und Schönheit fast zu platzen drohte. Ich kann es mir richtig vorstellen, wie die Händler von weit her hier anlegten und mit großen Augen dieses Meisterwerk menschlicher Handwerkskunst bewundert haben. Wenn sie dann in ihre Heimat zurückkamen, haben sie bestimmt mit offenen Mündern erzählt von der Stadt, die aus dem Wasser wächst, von den winzigen Gassen und den Mossaiksteinchen, Laternchen, Gondeln, Blumen, den Aristokraten und Kunsthandwerkern. Hach, dahin würde ich gern mal reisen, ins Venedig des 17. Jahrhunderts.
Mit Antonio besprechen wir auch noch unsere Wohnsituation und Generelles. Zum Beispiel auch, dass mein Schlüssel zur Haustür nicht passt und keiner von uns einen Briefkastenschlüssel besitzt. Dabei hat uns Jenny am Montag eine Postkarte geschrieben, um heraus zu finden wie unsere exakte Adresse ist. Stadtplan xyz, Stadtplan soundso und Google Maps, alle drei sagen etwas anderes. Von offizieller Seite haben wir nichts gesagt bekommen. Um überhaupt rauszufinden wo wir sind, musste ich am Samstag erst einmal raus zum nächsten Straßenschild laufen. Jaja, auch das ist Italien ;o) Da ich kein Internet zu Hause habe, setzte ich mich nach unserem Gespräch noch hoch in die zweite Etage des Gebäudes und zapfe dort das Netz an. So muss ich das wohl jetzt immer machen. Mein nach Hause Weg gleicht einer Odyssee. Ich habe die Nummern der Busse, mit denen ich fahren muss und einen Haltestellennamen, wo ich umsteige. Aber das bringt einen in Italien nicht unbedingt weiter. Denn es gibt keine Haltestellendurchsagen in den Bussen oder Vaporettos. Wer jetzt denkt, na zähl doch auf dem Fahrplan durch wie viel Stopps es gibt, der wird lachen. Denn auch da stehen nicht alle dran. Das heißt also, man muss wissen wo man raus will. In der Dunkelheit eines unbekannten Ortes wird das schnell du einer Falle in die ich natürlich mit beiden Füßen tappe. Nach einer Stunde komme ich endlich zu Hause an und setzte mich noch mit zu den anderen in die Küche. Madlens Nudeln und Hänchenflügel sind schon kalt, aber spätestens als ich auf die Chilischote beiße, wird mir ganz schnell warm. Die Jungs sind so nett und spenden uns ihren Mückenduftstein, nachdem sie gesehen haben was mit uns passiert ist. Also hoffe ich heute auf eine erholsame Nacht und morgen auf einen gutes Erwachen.
Buona Notte, ragazzi

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